Laudatio 15.08.2014
von Hermann Sauther
Ich kann mich noch sehr gut erinnern, als ich vor fast genau 2 Jahren mit meiner Frau mehr oder weniger zufällig hier im alten Kelterhaus die erste Begegnung mit den großformatigen Aquarellen Marika Fünffingers hatte, die damals Motive aus der Toskana und Venedig zeigten, sowie Pfälzer Motive aus der Umgebung von Burrweiler und Stadtmotive von Landau.
Vor allem die italienischen Motive hatten es mir sofort angetan: da waren venezianische Kanal-Impressionen und Arkaden, Kirchenfassaden und schiefe Türme, im Wind wehende Schabracken und Markisen vor verwitterten Fensterumrahmungen, bröckelnde Fassaden und im Wasser knarrende Holzpfähle mit festgemachten Booten …. Und auf einmal roch ich das Brackwasser der Lagune und der Kanäle, ich hörte das Plätschern der Wellen, wie sie an die Grundmauern der mittelalterlichen Palazzi schlugen, ich hörte die Schreie der Gondolieri, das Tuten der Vaporetti, ich sah den pittoresken Charme und morbiden Verfall der Serenissima, ich sah mich auf einmal vor einer der vielen Kaffeebars der Stadt sitzen, vielleicht auf dem Campo St Margerita oder San Toma, ich roch vor mir auf dem Tisch un cafè o forse un aperol spritz, ma con prosecco – io preferisco il prosecco nel apérol; e sopra tutta la città un cielo azzuro, tutto insieme come in un libro bell‘ illustrato! —
Oh, da bin ich doch vor lauter Begeisterung ins Italienisch verfallen! – Scusi. – Entschuldigen Sie bitte. Aber genau so war es: Frau Fünffinger hatte es unbewusst geschafft, mich mit ihren Bildern mitten auf die Piazza einer italienischen Stadt zu katapultieren. Und vor allem: es waren keine Klischees, die sie da gemalt hatte, alles war authentisch und faszinierend, es war gesehen und verarbeitet, erfühlt und empfunden. Und dieses Faszinierende der Bilder nahm mich in Beschlag und ich versuchte es zu ergründen.
Was war es, was diese Bilder so anders machte?
Nun, das Auge erkennt mit einem Blick die Abweichung von der realen Wirklichkeit des gemalten Sujets, vor allem dann, wenn man das Motiv vielleicht persönlich kennt. Im Nachfassen will der Betrachter dann analytisch ergründen: Worin weicht die Malerin denn nun von der sichtbaren Wirklichkeit ab?
Am auffälligsten sind die Farbabweichungen, aber davon später.
Geschickt wählt Marika Fünffinger ihren Blickwinkel auf ihre Objekte. Häufig führen Repoussoirs – das sind im Vordergrund eines Gemäldes platzierte Objekte – als Gegenstände oder Figuren in den Bildraum hinein. Da sind Säulen von Kolonnaden, die uns den Durchblick auf die Piazza einer italienischen Stadt gewähren, oder Amsterdamer Schiffsmasten, mallorquinische Telefonleitungen, die im Bild Raumtiefe schaffen. Oder, um in unserem Umfeld von Hainfeld zu bleiben: auch die Wingertspfähle vor ihrer Haustür setzt Marika Fünffinger so ins Bild.
Die Perspektiven sind sorgfältig gewählt und akzentuieren den Raum. Komplizierte Verschachtelungen von kubischen Architekturelementen (z. B. in Riomaggiore) konkurrieren mit weiten offenen Flächen, die tief in den Bildraum ragen und offene Landschaftsausblicke wechseln mit weiten Himmelsflächen.
Die Proportionen der Dinge werden mutig und entschieden verschoben zugunsten von Akzentsetzungen, Flächen werden reduziert und gestrafft. So entstehen im Bild Haupt-Sachen und Neben-Sachen.
Eine enorme Dynamik und Lebendigkeit zeichnet Marika Fünffingers Gemälde aus. Neben der Farbe sind es vor allem die divergierenden Richtungen der Bildgegenstände, die die Bildmotive beleben. Alles ist in Bewegung, manchmal fast tänzerisch, spielerisch, zuweilen nahezu surreal, manchmal sogar bedrohlich, aber immer hoch dynamisch.
Dadurch bekommt die Komposition der Gemälde auch diesen Drive, diese Frische, dieses noch nicht Gesehene und diese Unverwechselbarkeit. Hinzu kommt in den Kompositionen immer ein Spannungsgefüge: entweder richtet sich Größe gegen Kleinheit oder Fülle steht gegen Leere, Schärfe kontrastiert mit Unschärfe, Helligkeit überwindet das Dunkel. Zuweilen gibt es extrem gedehnte Querformate, die wie Fischaugenobjektive die Dynamik der Bildmotive verstärken. —
Und dann die Farben! Eine geradezu unglaubliche, verschwenderisch reiche Farbpalette belebt die Aquarelle von Marika Fünffinger. Hell und Dunkel, Leuchtend und Trüb, Klar und Diffus, Scharf und Verschwommen sind in sicheren Gegensätzen gesetzt. Leerformen wechseln mit Vollformen in erstaunlicher Form- und Farbsicherheit. Die Farbe ist geschliert und gespritzt, opak deckend und dann wieder lasierend leicht gesetzt, sie brilliert in leuchtenden Tönen gegen matte Passagen – fast wie Musik: Da wechseln Farbsolisten mit Farb-Klangteppichen, Harmonien stellen sich gegen Dissonanzen – herrlich diese Farbsicherheit!
Und durch all diese formalen Elemente, vor allem aber durch ihre Dynamik und Farbgebung gelingen der Künstlerin Bilder von außergewöhnlichem Reiz, dem Reiz des Ungesehenen, Neuen. Man schaut mit Augenlust, mit sinnenhafter Freude und ästhetischem Genuss mit ihr in die Arkaden Venedigs, in die Gassen und Steilhänge Liguriens, in die Grachten Amsterdams und in die Wingertszeilen der Pfalz. So erzeugt sie teilweise magische Wirkungen in ihren Bildern, fast wie der Realist Franz Radziwill; manchmal sind es gar surreale Wirkungen durch die Menschenleere und die ungewohnte Autolosigkeit von Plätzen und Straßen; durch das Licht und die einstürzenden Architekturlinien der Häuser. – Marika Fünffinger legt auf immer einen Zauber über ihre Landschaften. ____________________
Immer wieder fällt das Wort unbewusst, intuitiv, wenn man sie fragt nach der Motivation für eine Komposition, ein Bild, die Bildauswahl, die Farbigkeit, das Licht…
Ist sie nicht herrlich, diese Unbewusstheit der Künstlerin, die einfach sich ausdrückt! Oder die vorgefundene Realität durch ihr Schaffen neu er-findet. Denn abmalen, abzeichnen, konterfeien, das will Marika Fünffinger nicht. Sie macht keineswegs Veduten.
Und darin – das ist vielleicht gar nicht so gewagt – ist Marika Fünffinger so etwas wie eine malerische Urenkelin von Vincent van Gogh, der in einem seiner vielen Briefe an den Bruder Theo um 1890 folgendes schreibt: „Ich sage nicht, dass ich der Natur nicht rundweg den Rücken kehre um eine Studie in ein Bild zu verwandeln, indem ich die Farben verteile, indem ich vergrößere und vereinfache. […] ich übertreibe manchmal am Motiv; aber schließlich erfinde ich nie das ganze Bild, ich finde es im Gegenteil vor, muss es aber noch aus der Natur herausreißen. – […] Indem ich stets an Ort und Stelle arbeite, suche ich in meiner Zeichnung das festzuhalten, was wesentlich ist, […] wobei ich absichtlich die Farbwerte übertreibe ….“
Der Malstil von Marika Fünffinger ist natürlich von van Goghs Malweise völlig verschieden, ihre Vorgehensweise aber ziemlich identisch. ____________________
Wer ihr übrigens bei der Arbeit einmal zuschauen möchte, ist herzlich eingeladen zu einer Maldemonstration am Dienstag, dem 28. August um 19:00 Uhr hier im alten Kelterhaus. Anmeldungen bitte telefonisch oder per E-Mail. –